Die erste urkundliche Erwähnung von Anras lag schon über 1000 Jahre zurück, als die ersten Schritte in Richtung einer Musikkapelle unternommen wurden. Im Gegensatz zur Gemeinde gibt es aber keine
heute bekannte Urkunde, mit der sich der Beginn im Jahr 1781 absolut festmachen lässt. Bei sehr alten Musikkapellen bleiben die ersten Jahrzehnte des Geschehens oftmals im Dunkeln und nur
teilweise gelingt es die Anfänge zu rekonstruieren. Das ist in Anras nicht anders: Da hat es Kircheninstrumente gegeben, die vornehmlich die liturgische Musik bereicherten, auf denen Musikanten
aber auch in Gasthäusern, Bauernstuben oder Scheunen zum Tanz aufspielten – sie wurden dafür nicht selten gerügt. In anderen Fällen rückten sie mit Landesverteidigern aus, um diese im
Gleichschritt zu halten und zu motivieren. So werden im Mai 1809 zwei Spielleute erwähnt – wohl ein Pfeifer und ein Trommler, die mit der Anraser Sturmkompanie unter Hauptmann Josef von Mayr nach
Sexten ausrückten. Meist erst im 19. Jahrhundert bildeten sich dann reguläre „Musikbanden“ heraus, die anfangs noch nicht viele Mitglieder besaßen. Mitunter gelangte ein besonders Begabter in die
Position eines Regimentsmusikers und wenn er nach Jahren seinen Dienst
quittierte, war er für das heimische Musikleben ein großer Gewinn. Johann Reiter, Königshauser, kann hier erwähnt werden, der Mitte des 19. Jahrhunderts als Klarinettist in einer Regimentsmusik
tätig war. Diese Militärkapellen waren dann Vorbild für die vielen Musikapellen, die nach und nach im ganzen Land entstanden. Diese Kapellen wurden meist von Geistlichen oder Lehrern betreut,
wobei sich das für Letztere oftmals zwangsläufig ergab, da die Tätigkeit als Dorflehrer auch mit dem Mesnerdienst und der Verantwortung für
die Kirchenmusik einherging.
Viele Pioniere waren dafür verantwortlich, dass in Anras erste Schritte in der Harmoniemusik unternommen wurden. Unter diesen stechen ein paar Persönlichkeiten heraus. Der Lehrer Johann
Kaler, dessen Großvater mit demselben Namen als vermutlicher Kapellengründer angesehen werden kann, übernahm 1884 die musikalischen Agenden der Kapelle. Seinen peniblen Aufzeichnungen
ist es zu verdanken, dass man gut nachvollziehen kann, was es in dieser Zeit hieß in einem Dorf Musik zu machen. Kapellmeister zu sein bedeutete damals nicht nur sich mit Leitungsaufgaben zu
beschäftigen, sondern auch dass man zusätzlich
alle Instrumente selbst unterrichtete. Denn auf heute gewohnte Strukturen wie Musikschulen musste damals noch verzichtet werden. Auch Anderes ist heute ungewohnt: die Musikanten, ausschließlich
männlich, spielten nicht in Tracht. Eine solche sollte erst in den 1930er-Jahren angeschafft werden. Die Aufstellung der Musikanten erfolgte in einem Kreis mit dem musikalischen Leiter in der
Mitte. Einen eigenen organisatorischen Verantwortlichen kannte man zunächst auch nicht: erst 1901 wurde ein Musikausschuss gegründet, mit Michael Außerdorfer als erstem Obmann. Trotz dieser
Schwierigkeiten blühte das kulturelle Leben in Anras unter Johann Kaler, nicht zuletzt durch den erfolgreichen Anraser Männerchor. Jedoch ist jedes musikalische Wirken ein äußerst schmaler Grat
zwischen Forderung und Überforderung. Dass zudem das Verhältnis zwischen musikalischer Leitung und den Musikanten in jenen Tagen nicht immer ganz frei von Konflikten war, zeigt die resignierte
Bemerkung aus den letzten Jahren seiner Tätigkeit: „Die Musikkapelle ist im Zustand der Lethargie. Fast kein Interesse und noch weniger Opferwilligkeit.“
Mit anderen Schwierigkeiten hatte der Lehrer Hermann Lercher zu kämpfen, der 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, die Kapelle übernahm. Er musste die Musikkapelle, deren
musikalischer Betrieb nach einer Trauerfeier für die Gefallenen im Mai 1915 eingestellt wurde, nach dem Krieg wieder aufbauen. Mit der Gründung des Musikbundes Oberland im Jahr 1924 und der
Abhaltung des ersten Bundesmusikfestes (heute Bezirksmusikfest) im darauffolgenden Jahr in Abfaltersbach wurde ein erster Schritt in die Richtung der Zusammenarbeit zwischen den Musikkapellen
getan. Das erste Bundesmusikfest in Anras wurde 1931 abgehalten, wo zugleich das 150-jährige Bestandsjubiläum gefeiert wurde. Die politischen Entwicklungen und das sich verändernde
gesellschaftliche Klima der darauffolgenden Jahre spiegeln sich in den Ausrückungen wieder: spielte man 1934 noch eine Gedenkfeier für den ermordeten Ständestaat-Bundeskanzler Engelbert Dollfuß,
so nahm man vier Jahre später an einer Kundgebung Adolf Hitlers in Klagenfurt teil. Im Zweiten Weltkrieg rückte man zu Prozessionen, Platzkonzerten und Gefallenengedenken noch so lange aus, wie
Musikanten zur Verfügung standen. Hermann Lercher fiel es nach Ende des Krieges wieder zu, die Kapelle ein zweites Mal neu zu formieren.
Nach langjährigem Wirken von Lercher wurde Paul Außerlechner 1953 Kapellmeister. Ein Jahr später erfolgte eine grundlegende Neuerung und ein wichtiger Schritt in die moderne
Klangkultur, und zwar wurde von der hohen Stimmung auf die Normalstimmung umgestellt. Das bedeutete nicht nur, dass somit die Kapelle einen Halbton tiefer klang, sondern auch, dass es den
Musikanten nun möglich war außerhalb der Blasmusik (z.B. in Kirchenorchestern) tätig zu sein.
In weiterer Folge übernahm 1968 Karl Kröll die Kapelle und unter seiner Leitung begann eine grundlegende Neuausrichtung der Kapelle, die bis heute nachwirkt. Dies wurde sichtbar
im Großen, da ab 1975 erstmals Musikantinnen in den Reihen der Musikkapelle mitspielten, wie auch im Kleinen, dass man begann sich vor Konzerten einzuspielen. Unter ihm und seinem Nachfolger
Josef Mascher (ab 1980) steigerte sich nicht nur das Niveau, sondern es gab zudem Änderungen im Repertoire, nicht zuletzt durch die zunehmende Verfügbarkeit von Originalliteratur
und sinfonischer Blasmusikliteratur. Zusätzlich wandelte sich die Ausbildung der Musikantinnen und Musikanten: der Kapellmeister war nicht mehr allein für die Ausbildung verantwortlich, er wurde
zunehmend durch Instruktoren aus der Musikkapelle unterstützt. Schlussendlich sorgte die Etablierung des Landesmusikschulwesens dafür, dass die Ausbildung auf fundierte Füße gestellt wurde.
Laufend erweitert wurde das Instrumentarium durch beispielsweise Saxophone und Doppelrohrblattbläser. Auch der Ausschuss wurde breiter aufgestellt, indem neue Funktionen wie Notenwarte und
Organisationsleiter eingeführt wurden. Durch die verstärkte Teilnahme an Konzert- und Marschierwertungen versuchte man sich im Wettstreit mit anderen Musikkapellen.
Doch auch auf die Zusammenarbeit mit anderen Ensembles wurde Wert gelegt, besonders unter Erich Pitterl, der zwischen 2007 und 2014 als Kapellmeister amtierte. So wurden
Frühjahrskonzerte zusammen mit der Formation Titlá, der Tanzschule Valeina, dem Chor Ambidravi und der Anras Brass Sessionband gespielt.
(Quelle: Chronik der Musikkapelle Anras, 2013, Karl Kröll)